Vertonte Gedichte von Selma Merbaum berühren
CELLE. Der Sonntagnachmittag in der Synagoge von Celle entwickelte sich zu einer musikalisch-lyrischen Sternstunde mit hoher emotionaler Tiefe. Die Kantorin Aviv Weinberg als Sängerin, der Komponist Albrecht Gündel-vom Hofe sowie der Saxofonist Uwe Steinmetz, die Cellistin Lauren Steinmetz und Marcel Krömker am Kontrabass präsentierten Gedichte der jüdischen Lyrikerin Selma Merbaum. Sie starb - 18-jährig - im Jahr 1942 in einem Zwangsarbeiterlager am Fleckfieber.
Albrecht Gündel-vom Hofe hat zehn ihrer Gedichte vertont. Die literarischen Werke, mit Bleistift auf Zetteln geschrieben und von Merbaums Leidensgenossen für die Nachwelt gerettet, zeigen eine junge, verzweifelte Frau. Jene drückt auf literarischem Wege ihre Träume aus und entflieht dadurch zeitweilig der absoluten Hoffnungslosigkeit. Aber sie weiß, dass in Zeiten der nationalsozialistischen Diktatur ihr Lebensende bevorsteht. Für sein Werk und dessen Aufführung hat der Berliner Komponist den Leitsatz „Gleich einer Symphonie in Grün" gewählt. Es ist dies der Anfang eines der Merbaum Gedichte. Es heißt „Sonne im August" und es unterscheidet sich musikalisch von den vertonten anderen Dichtungen durch schnelle Takte und dadurch rhythmischen Schwung. Aber auch hier, zum Schluss, verklingen die Töne im pianissimo und zeugen so vom bevorstehenden, unausweichlichen, baldigen Sterben der von Krieg und (Rassen-)Hass betroffenen Dichterin.
Zur gesanglich-instrumentalen Umsetzung: Die Sopranistin Aviv Weinberg bestach durch ihr helles Timbre und ihre außergewöhnlich gute gesangliche Ausdrucksstärke. Die Sängerin artikulierte exzellent. Diese Art und Weise hinterließ, in Kombination mit den aufrüttelnden Texten, eine starke emotionale Wirkung beim Auditorium. Die Betroffenheit war deutlich spürbar. Eine Reihe von Besuchern lauschte mit geschlossenen Augen. Andere lasen die Texte mit, die Angelika Tarokic, die Leiterin des Stadtarchivs, zu Beginn verteilt hatte. Archiv und Jüdische Gemeinde Celle hatten diese Veranstaltung organisiert.
Im Laufe des Programms, nach je drei Liedblöcken, wurde eine verbale Präsentation eingeschoben. Patrick Hahne, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Celle, sowie Albrecht Gündel-vom Hofe verlasen kurze Texte. In denen spiegelten sich Parallelen vom Schicksal Selma Merbaums zum Leben der in Bergen-Belsen von den Nationalsozialisten ermordeten Anne Frank wider.
Noch einmal zurück zur Musik. Die Instrumentierung mit Piano, Cello, Kontrabass und Saxofon war für den dargebotenen literarischen Stoff nahezu perfekt. Melancholie und Schwermut, Verzweiflung und kurz aufflackernde Hoffnung: Das lässt sich akustisch durch den Klang eben dieser Instrumente hervorragend umsetzen. Und diese Umsetzung gelang. Dank der stimmgewaltigen Aviv Weinberg und dem Pianisten Albrecht Gündel-vom Hofe, der die musikalischen Fäden in der Hand hielt. Nicht zu vergessen Uwe Steinmetz, Lauren Steinmetz und Marcel Krömker, allesamt hochkarätige Könner ihres Fachs. Sie reihten sich als ausdrucksstark intonierende Musiker, die leidenschaftlich agierten, in den „Klang-Körper ein. Es wurde damit ein rundum gelungenes, temporär mehr als nur nachdenklich stimmendes Programm.
Andreas Scholz, Celler Nachrichten, 04.05.2025